Eine Form der Welterschließung, eine universale kulturelle Praxis, die jeder kennt und an der sich Kinder schon früh aktiv versuchen
Geschichten (Prosa), Gedichte (Lyrik) und gespielte Szenen (Dramen) verstehen sich von selbst, da sie selbst eine Form des Verstehens sind
Literatur ist eine Form der Kommunikation, Texte sprechen zu uns und wir antworten in unserem gelebten Leben
Ästhetikkonvention
Kulturell gewachsene Gewohnheiten des Verstehens von Literatur in Produktion und Rezeption
Polyvalenzkonvention
Kulturell gewachsene Gewohnheiten des Verstehens von Literatur in Produktion und Rezeption
Leseverstehen
Wie ‚funktioniert' Lesen?
Lesen ist mehr als DEKODIEREN (obwohl dies für Leseanfänger eine erhebliche Herausforderung darstellt)
Literaturspezifische Konventionen wie Ästhetik und Polyvalenz erfordern eine besondere Lesehaltung, die sich von der für Sachtexte unterscheidet
Lesen
Vor allem VERSTEHEN – eines Wortes, Satzes, Textes usw.
Das Lesen und Verstehen eines Textes ist ein Prozess, bei dem der Leser unentwegt Informationen des Textes mit eigenem WISSEN verknüpft
Gedicht
Textbaustein aus einer Anleitung zum Selbstverlegen von LAN-Kabeln, leicht gekürzt und mit verändertem Zeilenumbruch
Lesen
Nicht „Sinnentnahme", sondern aktive Bedeutungskonstruktion
Studierende interpretieren den vermeintlichen Gedichttext inspirierend und originell, obwohl er nicht unter dem Anspruch der Polyvalenz- und Ästhetikkonvention geschrieben wurde
Mehrebenenmodell des Lesens (Rosebrock/Nix 2008)
„Ich bin kein Typ, der gerne liest!"
Literarische Texte
Appellieren vielfältig an die Sinne und rufen Bedeutungen über die Wörtlichkeit hinaus auf
Erfordern eine sinnlich-bildliche Imagination der Lesenden
„Herr Scherf, ich habe alles gelesen, aber ich habe nix verstanden!"
„Ich habe Teil Fünf schon gelesen. War cool!"
Gedicht "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin
Einzelne Verse haben kaum einen plausiblen syntaktischen und semantischen Zusammenhang
Aber es gibt starke sinnliche Eindrücke wie gelbe Birnen, wilde Rosen, Schwäne, Küsse
Die Sprache appelliert vielfältig an die Sinne und ruft Bedeutungen über die Wörtlichkeit hinaus auf
Die Sprache appelliert vielfältig an die Sinne und ruft Bedeutungen über die Wörtlichkeit hinaus auf
Es braucht die sinnlich-bildliche Imagination aller syntaktisch kaum verbundenen Elemente, um nachzuvollziehen, dass ein lyrisches Ich hier eine reiche, warme, harmonisch in sich ruhende Naturszene betrachtet, oder vielmehr anrufend preist, man möchte fast sagen: anbetet
Der Bruch zur zweiten Strophe
Weh mir kann als ein Aufschrei wahrgenommen werden, der der Vorausahnung des Winters gilt
Mit den bloß rhetorischen Fragen nach Blumen und Sonnenschein wird der Mangel ins Zentrum gerückt, es fehlen Licht und Wärme
Der Winter erscheint als Symbol für den Tod, eine Verbindung, die auch kulturell verankert ist
Statt der üppigen, farbigen, warmen und ruhenden Landschaft der ersten Strophe gibt es hier nur die kalten Mauern, den Wind und aggressive Klänge
Die zwei Hälften des Lebens werden mit den Bildern von Sommer und Winter angesprochen
Der ganze Text drückt Angst und Verzweiflung vor der Zukunft aus, vor dem Alt-Sein, dem Tod
Weil die syntaktischen Bezüge teils fehlen, haben wir auf die Sinnlichkeit des sprachlichen Ausdrucks zurückgegriffen und Zusammenhang über alternative Verstehensstrategien hergestellt
Poetische Sprache steigert leserseitig die Schwierigkeit und Dauer der Textverarbeitung
Poetische Sprache öffnet Bedeutungsräume, andere Interpreten setzen womöglich andere Schwerpunkte und Horizonte
Strategien zum Verstehen poetischer Sprache
Sprache sinnlich erfahren, ihrem Klang nachspüren
Bildhaft imaginieren, Worte in Bilder übersetzen
Die eigenen Erfahrungsqualitäten aufrufen, sich als Subjekt einbringen
Empfänglichkeit für symbolische Bedeutungen
Die Andersartigkeit (Alterität) des Ausdrucks und der Inhalte wahrnehmen
Eine andere Zeitlichkeit konfigurieren, sich aus dem Kontinuum und der Handlungsorientierung des Alltags lösen
Literarisches Verstehen braucht spezifische Aufmerksamkeiten und Verstehensstrategien, die bei Sachtexten in der Tendenz nicht angewendet werden
Grundschulkinder könnten zu den beiden Strophen treffende Bilder malen, den Abstraktionsschritt bis zur Makroproposition "Todesfurcht" aber kaum nachvollziehen
Genrewissen präfiguriert die mentale Haltung und das Set an Lesestrategien, mit denen LeserInnen einem Text begegnen
Bekannte Genres erlauben schon vor dem eigentlichen Leseakt eine Einordnung in ein rhetorisches Grundmuster
Avantgardistische Texte
Stellen LeserInnen vor das Problem, wie sie überhaupt zu lesen, vor welchem Hintergrund sie zu verstehen sind
Bekannte Genres
Erlauben schon vor dem eigentlichen Leseakt eine Einordnung in ein rhetorisches Grundmuster
Die Variation des Grundmusters kann dann umso präziser wahrgenommen werden, auch wenn der Textinhalt unbekannt ist
Der Literaturunterricht ab der fünften Klasse ist im Wesentlichen nach Textsorten strukturiert