Die Strukturmodelle versuchen Positionen oder Ressourcen zu bündeln, die (partiell) hierarchisierbar sind und vorteilhafte bzw. nachteilige Lebenschancen eröffnen. Sie setzen direkt an MerkmalensozialerUngleichheit an.
Weitere Determinanten sozialer Ungleichheit
Wir betrachten nun Merkmale, die nicht per se sozialeUngleichheiten, sondern sozialeUnterschiede darstellen.
Sie können zu DeterminantensozialerUngleichheit werden, wenn Personen auf dieser Basis unterschiedlich handeln oder behandelt werden.
Weitere Determinanten sozialer Ungleichheit
Die z.T. gebräuchliche Unterscheidung zwischen „vertikalen“ und „horizontalen“ Ungleichheiten ist missverständlich.
Geschlecht = auf biologischenMerkmalen basierende, sozialüberformte Zuweisung eines Individuums zu einer Fortpflanzungskategorie
Geschlecht
Zuweisung beginnt pränatal oder qua Geburt (z.B. Namensgebung)
Binäre Einteilung in männlich und weiblich
Dritte Kategorien können biologisch (Intergeschlechtlichkeit) oder sozial (Transgeschlechtlichkeit) begründet sein.
Gender = inter- und intrageschlechtlich variable Ausformung geschlechterbezogenerNormen, Einstellungen und Verhaltensmuster
Geschlechterrollen: Gesamtheit kollektiverVerhaltenserwartungen an eine Geschlechterkategorie
Geschlechteridentitäten: Selbstkategorisierungen und -beschreibungen des Geschlechts
Ethnie (ethnische Gruppe) = Aggregat von Akteuren, die Abstammungsgemeinsamkeiten des Körpers (z.B. Hautfarbe), der Sprache, Religion oder räumlichenHerkunft teilen
Ethnizität = inter- und intraethnisch variable Ausformung ethnischerNormen, Einstellungen und Verhaltensmuster
Ethnische Identitäten: Selbstkategorisierungen und -beschreibungen
Das globale Konzept der Ethnie ist sinnvoll bei einer Kristallisation der Teildimensionen. Je nach Fragestellung kann aber die Operationalisierung einzelner Teildimensionen sinnvoll sein!
Rasse = Große Population von Individuen, die in einem signifikantenAnteil ihrer Gene übereinstimmen
Etwa 85% der genetischen Variation finden sich innerhalb lokalerPopulationen, nur ein geringer Anteil zwischen interkontinentalenGroßpopulationen („Rassen“)
In der internationalen Forschung wird „Rasse“ oft auf die Hautfarbe reduziert, zum Teil in Kombination mit der Abstammungslinie
Nation (nationale Herkunft) = PolitischeGemeinschaft, die ihren Angehörigen politischeRechte und Pflichten zuerkennt → Staatsbürgerschaft; Rechtskapital
Migrationshintergrund und Generationenstatus
In Deutschland werden ethnischeKategorienzugehörigkeiten meist über die Staatsbürgerschaft, die Migrationserfahrung, das Herkunftsland und z.T. über den Sprachgebrauch bestimmt.
Migrationshintergrund
Staatsbürgerschaft:
-Eigene SBS (bei Geburt bzw. aktuell)
-Elterliche SBS (bei Geburt)
Migrationserfahrung:
-Eigenes Geburtsland
-Elterliches Geburtsland
Generationenstatus
1 Generation: Im Ausland Geborene, die selbst zugewandert sind
1,5. Generation: Im Ausland Geborene, die früh in der Kindheit zugewandert sind
2. Generation: Im Inland Geborene, deren Eltern zugewandert sind
2,5. Generation: Im Inland Geborene, deren einer Elternteil im Inland und deren anderer im Ausland geboren wurde
3. Generation: Im Inland Geborene von Eltern der 2. Generation
Migrationshintergrund in der amtlichen Statistik in Deutschland
Amtliche Definition bis 2016: „Zu den Menschen mit Migrationshintergrund zählen alle Ausländer und eingebürgerte ehemalige Ausländer, alle nach 1949 als Deutsche auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland Zugewanderte sowie alle in Deutschland als Deutsche Geborene mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil.“
Migrationshintergrund in der amtlichen Statistik in Deutschland
Amtliche Definition seit 2017: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzt.“
Migrationshintergrund im dt. Mikrozensus 2018
Mit Migrationshintergrund: 25,5% (20,8 Mil)
-Deutsche Staatsangehörige 52,4%
-Auslandische Staatsangehörige 47,6%
Zeitkategorien: Lebensverläufe und Kohorten
Die Zeitlichkeit der Sozialstruktur:
Lange wurden sozialeUngleichheiten nur in der Querschnittsperspektive betrachtet.
Zeitkategorien: Lebensverläufe und Kohorten
Die Zeitlichkeit der Sozialstruktur:
Seit den 1990er Jahren wird verstärkt der Lebensverlauf von Individuen in der Längsschnittperspektive betrachtet.
Zeitkategorien: Lebensverläufe und Kohorten
Die Zeitlichkeit der Sozialstruktur:
Menschen sind in zwei Zeitstrukturen eingebettet:
Lebenszeit: Die Lebenszeit kann als Ressource unterschiedlich investiert werden; die Investitionen haben z.T. bindende Wirkung
Historische Zeit: Die zu einem Zeitpunkt gegebenen Opportunitäten und Institutionen der Gesellschaft bestimmen die Handlungsmöglichkeiten
Zeitkategorien: Lebenszeit
Lebensalter = biologisch-kalendarischer Abschnitt der Lebenszeit eines Akteurs
Zeitkategorien: Lebenszeit
Lebensverlauf (bzw. Lebenslauf) = institutionalisierte Abfolge von Ereignissen und Aktivitäten in verschiedenen Lebensbereichen von der Geburt bis zum Tod
Zeitkategorien: Lebenszeit
In modernen Gesellschaften weist der Lebensverlauf eine erwerbszentrierte, durch staatlicheInstitutionen (Bildungs- und Rentensystem) geprägte Dreiteilung auf, die zugleich nach familialenEreignissen strukturiert ist
Zeitkategorien: Historische Zeit
Kohorte = Aggregat von Akteuren, die durch ein gemeinsamesStartereignis gekennzeichnet ist (z.B. Geburt → Geburtskohorte)
Zeitkategorien: Historische Zeit
Generation = Aggregat von Akteuren, die in ihrer Sozialisation demselben historischenEreignis ausgesetzt waren und dadurch miteinander verbunden sind (z.B. Zweiter Weltkrieg → Kriegsgeneration)
Zeitkategorien: Historische Zeit
Es ist wichtig, Effekte des Alters (bzw. Lebensverlaufs) von solchen der Kohortenzugehörigkeit (bzw. Generation) zu trennen
Räumliche Kategorien
Räume / Regionen = mit Opportunitäten ausgestattete, durch Institutionen geprägte, geografisch abgrenzbare Gebiete
Räumliche Kategorien
Wie die Zeit bestimmt auch der Raum die Handlungsmöglichkeiten der Akteure (→ strukturelle Wahrscheinlichkeiten)
Kleinräumige wie großräumigeEinheiten können sinnvoll sein.
Viele Raummodelle haben eine Zentrum-Peripherie-Dimension.
Kontexteffekt = Einfluss einer Makrovariable auf ein individuelles Outcome (Beispiel: Ausstattung/Qualität von Schulen → eigene Schulleistung)
Kompositionseffekt = Einfluss der sozialenZusammensetzung einer Population auf ein kollektives Outcome (Beispiel: Migrantenanteil in einer Region → Durchschnittsergebnis PISA)
Räumliche Kategorien
In der Sozialstrukturanalyse werden häufig politisch-administrativeRaumeinheiten zugrunde gelegt. (Beispiele: Bundesländer, Regierungsbezirke, Kreise, Gemeinden, statistische Bezirke, Wahlbezirke, Baublöcke)
Räumliche Kategorien
Politisch-administrative Raumeinheiten sollten so gruppiert werden, dass sie möglichst genau die Kontextmerkmale abbilden, die für die konkrete Fragestellung relevant sind.
Räumliche Kategorien
Das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) bietet dafür in Deutschland verschiedene Modelle an:
SiedlungsstrukturelleRegionstypen: Klassifikation nach Stadtgrößenstrukturen und Einwohnerdichte
Stadt-Umland-Verflechtungen
Arbeitsmarktregionstypen
Wohnungsmarktregionstypen
Weitere Determinanten
Sexuelle Orientierung:
Geschätzter Anteil nicht-heterosexueller Erwachsener in DE: ca. 1,9% Großstädte B/K/F/M ca. 4,5-5,5%
Andere westliche Länder: ca. 2,0-3,5%
Weitere Determinanten
Behinderung und Beeinträchtigung:
Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen, DE 2013: 15,8%
Gesundheit/Krankheit kann eine Determinante genauso wie eine Folge sozialer Ungleichheit sein
Gesundheitliche Ungleichheiten haben eine körperlicheDimension. Darüber hinaus können körperlicheBezüge anderer Art zur Determinante sozialerUngleichheit werden. (bsp.: Übergewicht; Physische Attraktivität)
Bewertung der Strukturmodelle und Determinanten sozialer Ungleichheit
Einwände gegen Klassen- und Schichtmodelle:
Nichterwerbstätige können nicht klassifiziert werden. Lösung: Einordnung nach dem 1. zuletzt ausgeübten Beruf, 2. Beruf des Partners, 3. Beruf der Eltern
Nichtökonomische Merkmale werden ausgeblendet. Alternativkonzepte: Soziale Lagen, Milieus, Lebensstile