Theorien zur Medienselektion

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  • Dispositionen der Mediennutzer:innen:
    Persönlichkeitsvariablen
    ▪ z.B.: extrovertierte, gesellige Menschen geben eine Präferenz für energetische, rhythmische Musik an (Rentfrow & Gosling, 2003)
    Need for Cognition (= Tendenz eines Individuums, gerne nachzudenken)
    • Menschen mit einem höheren NfC verarbeiten Informationen intensiver und suchen auch selbst aktiver nach weiteren Informationen
    • Individuen mit einem niedrigeren NfC berichten eine höhere Präferenz für Filme, die zuvor gespoilert wurden, als Personen mit einer höheren Ausprägung dieser Persönlichkeitseigenschaft
  • Gewohnheit
    ▪ Gewohnheiten können definiert werden als eine Form der Automatik in der Reaktion, die
    sich entwickelt, wenn Menschen Handlungen unter stabilen Umständen wiederholen
    ▪ Ein großer Teil der Mediennutzung ist gewohnheitsmäßig:
    • Fernsehnutzung der Eltern korreliert positiv mit dem ihrer Kinder 18 Jahre später
    • Automatische Selektionsfaktoren dominieren die Medienauswahl; also bewusste Prozesse spielen weniger eine Rolle als vielmehr „die Macht der Gewohnheit“
  • Konsistenztheorie:
    Menschen wählen Medienangebote, die zu ihren Voreinstellungen passen
    —> Es geht vor allem um journalistische/politische Medieninhalte (Information)
  • Konsistenzheorien
    Balance Theorie (Heider, 1946)
    Grundannahme:
    ▪ Menschen streben nach Konsistenz in Einstellungen, Verhalten und sozialer Konstellation
    ▪ Sprich, eigene Einstellungen im Einklang mit anderen Personen
    ▪ Gibt es Unterschied/Diskrepanz, entsteht Spannung/Ungleichgewicht
  • Konsistenztheorien
    Balance Theorie (Heider, 1946)
    ▪ Konsistenzen sind stabil.
    Inkonsistenzen erfordern eine Veränderung einer Beziehung:
    • Umbewertung der Beziehung zur anderen Person
    • Umbewertung der Beziehung zum Umweltobjekt
  • Konsistenztheorien:
    Grundannahmen kognitive Dissonanztheorie (Festinger, 1957)
    ▪ Fokus auf eine Person und deren Einstellungen und Verhalten (passen meine eigenen Erfahrungen zusammen?)
    ▪ Annahme: Sich widersprechende Einstellungen und Verhalten lösen Dissonanz aus (= will vermieden werden)
    ▪ Lässt sich auch als Balance Modell darstellen
  • Kognitive Dissonanz:
    Quellen der Dissonanz:
    Logische Inkonsistenz (P. denkt: Eigentum muss geschützt werden. P. denkt auch: Ein paar Filmchen runterladen schadet niemandem.)
    Kulturelle Normen (In Europa ist es meist dissonant, mit Fingern zu essen.)
    Konflikt hierarchischer Kognitionen (Ich mag eine Partei, nicht aber den Kandidaten.)
    ▪ Eine neue Erfahrung widerspricht vergangener Erfahrung (Karl ist immer pünktlich. Aber heute warten wir schon seit 15 Minuten auf ihn.)
  • Kognitive Dissonanz:
    Lösungsstrategien zur Dissonanzreduktion
    ▪ Ideale Lösung
    1. Einstellung ändern
    2. Verhalten ändern
    ▪ Problem: Beides häufig nicht möglich
    ▪Alternative „Lösung“:
    1. Konsonante Einstellung/Kognition hinnehmen
    2. Umdeutung: Dissonanz in Frage stellen
    3. Vermeidung: Dissonante Kognition ignorieren
    Andere Lösung: Nicht an Logik orientieren, sondern an Umfeld
  • Theorie der kognitiven Dissonanz
    ▪ Die durch dissonante Medienbotschaften hervorgerufene Dissonanz wächst mit:
    • der Bedeutung der Kognition oder Handlung für das Individuum (Dissonanz zu starken Meinungen)
    • Und der Menge dissonanter Botschaften
    ▪ Ausnahmen: Die Tendenz, Dissonanz zu reduzieren (also auch: selektives Informationsverhalten) tritt nicht auf bei:
    • Sehr schwacher Dissonanz
    • Sehr starker Dissonanz (hier ist Vermeidung kein ausreichendes Instrument zur Dissonanz-Verringerung)
  • Theorie der kognitiven Dissonanz + Medienkonsum
    ▪ Dissonanz durch Medienkonsum: Aufnahme von Medienbotschaften, die unseren Kognitionen/Handlungen widersprechen
    ▪ Auch die Aufnahme dissonanter Medienbotschaften wird gemieden
    ▪ Dissonante Medienbotschaften werden nur aufgenommen:
    • Versehentlich (Accidential exposure)
    • Die Zuwendung erfolgte aus ganz anderem Grund (Exposure on an irrelevant basis)
    • Durch Zwang (Forced exposure)
    • Durch soziale Interaktion (Interaction with other people)
  • Medienkonsum und kognitive Dissonanz
    Aus den Annahmen der Theorie kognitiver Dissonanz folgt:
    Vermeidung dissonanzsteigernder Medienbotschaften
    ▪ Gezielte Zuwendung zu konsonanzsteigernden Medienbotschaften
  • Medienkonsum und kognitive Dissonanz
  • Medienkonsum und kognitive Dissonanz – Einschränkungen
    ▪ Würden wir nur aus dem Bestreben nach Konsistenz Medienangebote auswählen (und inkonsistente entsprechend meiden), dann:
    ▪ Könnten Massenmedien keine Einstellungsänderungen sondern nur eine Verstärkung bereits vorhandener Einstellungen bewirken (Verstärker-These)
  • Zusammenfassung der Forschung zu Medienselektion und kognitiver Dissonanz
    ▪ Kognitive Dissonanztheorie beschreibt viele Situationen gut, ist ein wertvoller Ausgangspunkt
    ▪ Vor allem die Strategien zur Lösung der Dissonanz erklären menschliches Verhalten
    ▪ Meistens ist die Situation aber komplizierter
    ▪ Menschen halten auch viele widersprüchliche Einstellungen aufrecht
    • Wir funktionieren nicht rein nach Theorie
    • Häufig erklären Gruppenphänomene Verhalten besser (Stichwort: Koorientierung, Konformismus, Tribalismus)
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz (UGA)
    Anknüpfung an konsistenz-/dissonanzgeleitete Selektion
    ▪ Der Uses-and-Gratifications-Ansatz erklärt auch die selektive Zuwendung zu Medienangeboten
    ▪ Aber:
    • Er erklärt ein größeres Spektrum an Mediennutzung (nicht nur Einstellungsfragen)
    • Er erklärt ein größeres Spektrum an Zuwendungsgründen
    • Er möchte jede denkbare (bewusste) Motivation für die Zuwendung zu jeglicher Art von Medienangebot konzeptionell erfassen
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz (UGA)
    Grundkonzept
    ▪ Menschen haben Bedürfnisse.
    ▪ Diese Bedürfnisse sind ihnen bewusst.
    ▪ Menschen sind aktiv und handeln zielgerichtet
    (bedürfnisorientiert).
    ▪ Menschen können über ihre Bedürfnisse und Handlungen
    Auskunft geben.
    ▪ UGA ist ein handlungstheoretischer Ansatz
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz (UGA)
    Grundkonzept
    ▪ Menschen wählen aus dem großen Angebot an
    Medieninhalten einige wenige aus (oder aber gar keine).
    ▪ Sie wählen diese aus, weil sie ganz bestimmte
    Erwartungen daran haben, wie diese Medieninhalte
    ihnen nützen werden.
    ▪ Dadurch moderieren sie, welchen Medienwirkungen sie
    ausgesetzt sind.
    ▪ Hierbei gibt es deutliche interpersonale Unterschiede.
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz (UGA)
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz (UGA)
    Kategorisierung von Nutzungsmotiven
    ▪ Versuch, die vielfältigen Gründe der Medienzuwendung zu verdichten
    ▪ Diese Motive können sich beziehen auf:
    • Medieninhalt selbst
    • Akt der Mediennutzung
    • Sozialen Kontext der Mediennutzung
  • Motivkategorien nach McQuail, Blumler, & Brown (1972)
    Unterhaltung:
    emotionale Motive: Realitätsflucht, Entspannung, ästhetischer Genuss, Zeit füllen, Ausleben
    von Emotionen, sexuelle Stimulation
  • Motivkategorien nach McQuail, Blumler, & Brown (1972)
    Soziale Beziehungen:
    soziale Motive: soziale Perspektivübernahme, Zugehörigkeitsgefühl, Gesprächsstoff, Geselligkeitsersatz, Rollenhilfe, Kontakterleichterung
  • Motivkategorien nach McQuail, Blumler, & Brown (1972)
    Identität:
    Identitätsmotive: Bestätigung persönlicher Werte, Rollenvorbilder, Identifikation mit Anderen, Selbstreflexion, Selbstfindung
  • Motivkategorien nach McQuail, Blumler, & Brown (1972)
    Information:
    kognitive Motive: Orientierung in der Umwelt, Ratsuche, Neugier, Lernen, Gefühl der Sicherheit durch Wissen
  • UGA
    Motivkategorien nach McQuail, Blumler, & Brown (1972)
    Unterhaltung
    Soziale Beziehungen
    Identität
    Information
  • UGA
    Motivkategorien nach Conway & Rubin (1991)
    Information
    Unterhaltung
    Entspannung
    Zeitvertreib
    Status
    Eskapismus
  • Uses-and-Gratifications-Ansatz(UGA)
    Bsp.:
    Nutzungsmotiv-Skala für Binge Watching von Serien (Flayelle et al., 2019)
    • Coping/Escapism(z.B. „I watch TV series to pass time and escape from boredom“)
    • Enrichment(z.B. „I watch TV series because they give me food for thought on a number of subjects“)
    • Emotional enhancement(z.B. „I watch TV series to feel strong emotions like the excitement or the thrill they give me“)
    • Social(z.B. „I watch TV series not to be out of touch, because most of my friends do it“)
  • Kritik am U&G-Ansatz
    ▪ Annahme der Bewusstheit und Artikulationsfähigkeit von Rezipient:innen in Bezug auf ihre Bedürfnisse: Motive für menschliches Verhalten sind nicht immer bewusst.
    ▪ Annahme des aktiven Publikums: Mediennutzung verläuft häufig habitualisiert (d.h. ohne bewusste Entscheidungsprozesse) und Verhalten nicht immer rational.
    Zirkularität: Von der Mediennutzung wird auf Bedürfnisse geschlossen, ohne zu berücksichtigen, dass Medien neue Bedürfnisse schaffen können.
    ▪ (Theorielosigkeit: keine Fundierung durch Motivations-Theorie)
  • Wiederholung: Prämissen des U&G-Ansatzes:
    ▪ Das Publikum ist aktiv und nutzt Medien zielgerichtet, aufgrund seiner Erwartungen, Bedürfnisse und Motive.
    ▪ Potentielle Medienwirkungen werden durch die Selbstbestimmung der Rezipient:innen begrenzt, da dieser über die Nutzung entscheidet.
    ▪ Medien konkurrieren untereinander und mit anderen funktionalen Alternativen der Bedürfnisbefriedigung.
    ▪ Menschen sind sich ihrer Bedürfnisse und Motive hinreichend bewusst, um Auskunft darüber geben zu können.
  • Kritik an handlungstheoretischen Konzepten der Medienauswahl insgesamt
    Willentliche Kontrolle des Medienkonsums?
    • Medienauswahl ist eher das Resultat unbewusster sozialer Lernprozesse.
    • Unterschiedliche Bedürfnisstrukturen sind durch Soziodemographie bedingt.
    ▪ Mediennutzung als Niedrigkostensituation
    • Intuitive/gewohnheitsmäßige Auswahl
    • Nicht-Befriedigung von Bedürfnissen bleibt ohne Konsequenzen.