6. Geschichte der Algebra

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  • • Anfänge der Algebra werden unterschiedlich weit zurückverfolgt
    • Schon in Mesopotamien gab es rezeptartige “Algorithmen” zur Lösung von Problemen, die heute zur Schulalgebra gehören
    • Entscheidung über die Frage hängt vor allem an einer begrifflichen Festlegung, was man unter Algebra verstehen will
    • Weitere Vorläufer werden in Diophant und in der indischen und islamischen Tradition gesehen
    • Diophant markiert den Beginn des Übergangs von der rhetorischen Algebra zur synkopierten Algebra als Zwischenphase zur symbolischen Algebra
  • o Rhetorisch: alles in Worten
    o Synkopiert: Zwischenstufe, Phrasen der rhetorischen Algebra werden teilweise abgekürzt
    o Symbolisch: wie heute, Rechnen mit Buchstaben im weitesten Sinne, Verselbstständigung der Symbolik, Symbole als Repräsentanten mit eigenen Regeln
    • Übergang zur symbolischen Algebra erfolgt dann aber erst mehr als tausend Jahre später
    • Ausbreitung des Islams spielt dabei eine wichtige Rolle: Sprung in der Zeit nach vorne
  • Bagdad als Wissenschaftszentrum
    o gegründet im Jahr 766 vom Abbasiden Kaliph al-Mansur als neue Haupstadt
    o 20 Jahre später unter Kaliph Harun al-Rashid bekam die Stadt eine Bibliothek
    o hier wurden viele griechische Manuskripte gesammelt, die früher in den Akademien von Athen und Alexandria aufbewahrt wurden
    o Islam ist zwar Religion, aber sehr gut mit Empirie/wissenschaftlichen Tätigkeiten verträglich, demgegenüber offen, religiöse Machthaber unterstützen Wissenschaft
  • Haus der Weisheit
    o Haus der Weisheit (arabisch: Bayt al Hikmah) wurde 825 von dem Abasiden Kaliph al-Ma’mun in Bagdad gegründet
    o Kaliph al-Ma’mun regierte von 819-833
    o Diese Institution war eine Art Akademie, vergleichbar mit dem früheren Museum und der Bibliothek in Alexandria
    o hier wie dort bemühte man sich alte Texte aufzufinden
    o In Bagdad hatten die Gelehrten auch die Aufgabe, in die arabische Sprache zu übersetzen
  • Papiermarkt in Bagdad
    o Gründung des Hauses der Weisheit hängt mit der Geschichte der Papierherstellung zusammen
    o In Bagdad baute man zu dieser Zeit eine Papiermühle
    o Auf dem Suq al-Warraqin, dem Papiermarkt gab es etwa 100 Papiergeschäfte M
    o manche wurden von Lehrern und Schriftstellern betrieben, die dann ein eigenes Wissenschafts- und Literaturzentrum begründeten
  • Übersetzungsarbeit und Aufrechterhaltung der griechischen Tradition
    o Im Haus der Weisheit arbeiteten zeitweise rund 90 Menschen an wissenschaftlichen Übersetzungen vor allem aus der griechischen in die arabische Sprache
    o Al-ma’mun schickte dafür Gelehrte seines Hofs nach Byzanz, um mathematische Werke zu erwerben
    o alle Werke der Antike übersetzt, die man auftreiben konnte
    o wichtigsten Autoren gehörten Platon, Aristoteles, Archimedes, Ptolemäus
    o Dabei entwickelte sich unter Leitung des Christen Hunayn ibn Ishaq auch eine Technik des konzeptionellen anstelle des wörtlichen Übersetzens
  • Multikulturelles Unternehmen
    o In Bagdad arbeiteten nach Aussagen des Historikers al-Qufiti in der Epoche des Aufbaus des Hauses 37 Christen, 8 Sabaer und 9 Juden
    o Sie waren aufgrund ihrer Fachkenntnisse wichtig für den Aufbau des Hauses
    o Auch der berühmte al-Khwarizmi war scheinbar ein Vertreter vorislamischer persischer Traditionen
    ▪ Ca. 780 – 850 n. Chr.
    ▪ Wichtiger Vertreter der arabisch-islamischen Mathematik in Bagdad
    ▪ Berühmt für indo-arabisches Zahlensystem und Lösen quadratischer Gleichungen
  • • Das indo-arabische Zahlsystem und die Zahl Null
    o Die Verbindung zwischen der indischen und arabischen Kultur scheint von Anfang an relativ stark gewesen zu sein
    o Die indischen Ziffern waren den arabischen Mathematikern in Bagdad seit der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts bekannt
    o Aus dem indischen in das arabische Zahlensystem übernommen, spielten sie eine zentrale Rolle in der islamischen wissenschaftlichen Kultur
    o Es scheint, dass erst mit der arabischen Rezeption auch Dezimalbrüche eingeführt wurden
  • • Das indo-arabische Zahlsystem und die Zahl Null II
    o Wir haben dann also vollständig ausgeprägt ein dezimales Positionssystem mit Ziffern außerhalb wissenschaftlicher Zentren wie Bagdad noch nicht verbreitet)
    o In seinem Werk “Über das Rechnen mit indischen Ziffern” (um 825) stellte al-Khwarizmi das Zehnersystem vor
    o Er führte dabei auch die Ziffer Null ein (arabisch: sifr, also Ziffer)
    o Die arabische Urfassung dieses Buches ist verloren gegangen; es ist aber in einer lateinischen Übersetzung erhalten
  • Ein Name wird zum Begriff
    o Die lateinische Fassung der Schrift wurde bekannt als “Das Werk des Al-gorithmus über …”
    o Daraus entstand der Begriff “Algorithmus”
    o Das Rechenverfahren mit den neuen Zahlen hieß also ursprünglich “nach-Al-gorithmus”, so wie wir heute noch manchmal von Adam Riese sprechen
  • Verbreitung nach Spanien
    o Über die Verbreitung des neuen Zahlsystems ist nur wenig bekannt
    o Man geht davon aus, dass die indo-arabischen Zahlen erst im 12. Jahrhundert nach Europa kamen
    o In Spanien wurden lateinische Übersetzungen von den arabischen Schriften des al-Khwarizmi gemacht, die allmählich in den Westen verbreitet wurden
    o Bis dahin hat man im astronomischen Kontext im Sexagesimalsystem gerechnet, wobei die Ziffern mit griechischen Zahlen geschrieben wurden, im Alltag wurden römische Zahlen genutzt
  • Geburt der islamischen Algebra mit al-Kwarizmi
    o Al-Khwarizmi schrieb ein Buch mit dem Titel „Al-Kitab al muhtasar fi hisab al-jabr wa-l-muqabala“ im Haus der Wissenschaft in Bagdad
    o Auf deutsch: Ein kurz gefasstes Buch über die Rechenverfahren durch Ergänzen und Ausgleichen
    al-jabr (Algebra) bedeutet etwa anordnen: 5x + 1 = 2 − 3x → 8x + 1 = 2 (alle negativen Sachen auf die andere Seite)
    al-muqabala bedeutet etwa ausgleichen: 8x + 1 = 2 → 8x = 1 (auf beiden Seiten gleich viel wegnehmen)
    also: ein kurzes Buch über diese Methoden: das richtige Anordnen und Ausgleichen
  • Mathematisches Wissen und sozialer Fortschritt: al-Kwarizmi schriebt, dass die Einstellung des Herrschenden zu Wissenschaft und Erkenntnisgewinn ihn ermutigt hat (typische Geste damals), ein kurzes Werk mit den Rechenregeln zu verfassen, beschränkt auf das Einfachste und Nützlichste in der Mathematik, was die Menschen fortwährend benötigen
  • Ausschnitt aus dem Werk von al-Kwarizmi
    o Englische Übersetzung aus dem arabischen
    o Zunächst Erklärung des Dezimalsystems (Einheit, Einer, Zehner, Hunderter, Tausender, etc., Unendlichkeit ist impliziert
    o Erklärung, welche Arten von Unbekannten es gibt und welche Form sie haben
    ▪ Wurzeln ≙ x, Unbekannte
    ▪ Quadrate ≙ x^2, Unbekannte mit sich selbst multipliziert
    ▪ Einfache Zahlen ≙ benannte konstante Zahl
  • Al-Khwarizmi löst sechs verschiedene Arten von Gleichungen
    o Quadrate gleich Wurzeln (ax^2 = bx)
    o Quadrate gleich Zahlen (ax^2 = c)
    o Wurzeln gleich Zahlen (bx = c)
    o Quadrate und Wurzeln gleich Zahlen (ax^2 + bx = c)
    o Quadrate und Zahlen gleich Wurzeln (ax^2 + c = bx)
    o Wurzeln und Zahlen gleich Quadrate (bx + c = ax^2)
  • Warum unterscheidet al-Khwarizmi diese sechs Fälle?
    Was trennt unsere moderne Interpretation der sechs Fälle als Erscheinungsformen einer allgemeinen quadratischen Gleichung von al-Khwarizmis Verständnis? („Unlearning mathematics“, nicht jede Gleichung ist allgemein lösbar)
  • o Ein solides Verständnis von Zahlen,
    ▪ das positive und negative Zahlen umfasst
    ▪ das ganze Zahlen und Brüche umfasst
    ▪ das diskrete (Zahlen) und kontinuierliche Größen (Größen, geometrische Strecken oder so) gleichzeitig darzustellen erlaubt (damals hohe Ambivalenz)
    o ein Verständnis unbekannter Größen, bei denen Quadrate und lineare Größen und Zahlen ohne weiteres miteinander multipliziert werden können
    o ein Verständnis der Darstellung einer unbekannten Größe durch ein besonderes Symbol (Buchstabe), das aber nach sehr ähnlichen Regeln manipuliert werden kann, wie Zahlen selbst
  • 0=Zahl?
    o Argument für Unterscheidung betrifft die Frage, inwieweit die Null als Zahl aufgefasst wird
    o Es gab Kreis oder Punkt als Platzhalter im indischen Positionssystem zur Basis 10, aber das heißt nicht, dass die 0 bereits als Größe gesehen wurde
    o ab wann es die Null als Zahl gibt, nicht nur daran hängt, ob es ein Zeichen für die unbesetzten Stellen in einem Positionssystem gibt
    • Beispiel: Wurzeln und Quadrate gleich Zahlen ((ax^2 + bx = c)
  • o Aufgabe: Ein Quadrat, und zehn Wurzeln desselben, ergeben neununddreißig Dirhems. Wie groß muss das Quadrat sein, welches, wenn es um zehn seiner eigenen Wurzeln ergänzt wird, neununddreißig ergibt? (Modern: x2 + 10x = 39)
    o Lösung in Form eines Rezepts, dessen Resultat der positiven Lösung der p-q-Formel entspricht
    o Geometrische Interpretation
  • Welche Quellen hatte al-Khwarizmi?
    o Die rezeptartige Formulierung erinnert an die babylonische Tradition
    o Die Begründung durch ein geometrisches Argument wäre eher typisch für die griechische Mathematik, allerdings argumentiert al-Khwarizmi nicht im Stil Euklids
    o Scheinen Synthese verschiedener Methoden zu sein
    o Vermutlich sind seine Methoden indischer Herkunft
    • Spätere Anlehnung an die griechische Tradition
    o Nach al-Khwarizmi haben andere Mathematiker am Haus der Weisheit neue Beweise für die Lösungen quadratischer Gleichungen gegeben